Michael Gielen (1927–2019) Pflicht und Neigung
für ein Ensemble von 22 Musikern 1988 Dauer: 24'
2(2Picc.A-Fl.Blfl).2(2Eh.Ob d'am).2(Klar[Es].B-Klar.Bassetthn).Kb-Klar(B-Klar.A-Sax).2(Kfg) – 2.2.2.1. – Pk.Schl(3) – 3Klav(2Cel) – E-Org
UA: Bremen, 1. Oktober 1989
Der Titel hat damit zu tun, daß es sich um einen Auftrag handelt, (Auftrag des Festival d'Automne in Paris für das Ensemble InterContemporain und des Musikfests Bremen für das Ensemble Modern), dessen mich zu entledigen eben beides beinhaltet; darüberhinaus aber wesentlich mit den Inhalten des Stücks.
Es ist eine Weiterentwicklung des Mittelsatzes aus meinem Streichquartett 1983, unter Verwendung von Materialien aus den anderen Sätzen. Und zwar handelt es sich hier wie dort um multiple oder Parallel-Variationen von mehreren musikalischen Situationen oder „Topoi“. Während jedoch im Quartett alle diese Topoi „Zwanghaftes“ widerspiegeln, (also die Situation, in der wir uns meist befinden, unter der wir im psychischen wie im äußeren Leben leiden, während wir die Illusion aller möglichen Freiheiten pflegen), wollte ich im neuen Stück einer größeren Gelassenheit in sogenannten „Fenstern“ Ausdruck geben. Außerdem gibt es kurze „Signale“, die die Form gliedern. Auch diese, wie die „Fenster“ und alle anderen „Topoi“ unterliegen der mehrfachen Variation.
Die Topoi heissen
Repetitiv-Zwanghaft
Dramatisch
Akkorde
Wolken
Schwanengesang
Soli (Fenster), und tauchen zwischen sechs und drei mal auf.
Die Signale sind sechs. Als Begleitung taucht vier mal ein „Rezitativ“ auf.
Das Stück hat drei Teile. 12 Topoi bilden den ersten Teil, der zweite ist ein „Tutti“, in dem sich vier Topoi überlagern, der 3. Teil hat wieder 12 Teile, meist Überlagerungen mehrerer Topoi.
Das Quartett ist wie ein Steinbruch benutzt, seine Materialien werden weitgehend verwandelt: Akkordisches wird auseinandergeklappt und vice versa, metrisch nicht Fixiertes wird in Takte gegossen etc. Ein einziges Element („Schwanengesang“) wird nur instrumentiert, nicht neu komponiert. Es ist die Melodie aus parallel verschobenen Akkorden.
Erwähnenswert ist vielleicht, daß die „Fenster“ (erst für Tuba, dann für Duos und Trios, schließlich für Trompete als Hauptfiguren) auf dem Zemlinsky-Zitat basieren, mit dem das Quartett anfing.
Die Musiker (9 Holzbläser mit Nebeninstrumenten, 7 Blechbläser, 3 Schlagzeuger und 3 Spieler von Tasteninstrumenten) sind in 3 Gruppen geteilt.
Um eine Achse von El-Orgel, Tuba, Kontrabassklarinette und Schlagzeug (Plattenglocken, Röhrenglocken und Pauken) gruppieren sich die anderen symmetrisch. Rechts und links von der Achse gibt es also:
Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, (mit Nebeninstrumenten), Horn, Trompete, Posaune, Klavier, Celesta und 1 Schlagzeuger mit Trommeln, Metallplatten und einem Marimbaphon.
Das Stück ist Walter Levin gewidmet.
(Michael Gielen)
CD:
Mitglieder des SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Ltg. Michael Gielen
CD Hänssler 93.060