Hanns Eisler (1898–1962) Sätze für Nonett
herausgegeben von Manfred Grabs 1940/41 Dauer: 22'
Fl.Klar.Fag – Trp – Pk – 3Vl.Kb
Nachdem Sie die gewünschten Ausgaben in den Warenkorb gelegt haben, können Sie dort die benötigte Stückzahl bei Bedarf noch anpassen.
Als „musikalisches Marathon“, als Rekord in der Filmmusik pries ein amerikanischer Journalist Hanns Eislers länger als einstündige Komposition für den Film „The Forgotten Village“.
Jenes „verlassene Dorf“ lag in Mexiko, und der Film schildert, wie sich dort die moderne Medizin und damit Vernunft und Erkenntnis gegen Not, Aberglauben und Unterwürfigkeit durchsetzen. Er zeigt eindrucksvolle Bilder vom Leben der Dorfbewohner: ihre Arbeit, ihre Feste, ihr häusliches Milieu, Geburt und Tod, Krankheit und Genesung, langwieriges, konfliktreiches Erwachen aus dumpfer Befangenheit.
Land und Leute Mexikos waren Eisler nicht unbekannt. Hier hatte er 1939 Zuflucht gefunden, als ihm die Ausweisung aus den USA, seinem Exilland drohte. Er erhielt eine Anstellung am Nationalkonservatorium in Mexico City. In dem knappen halben Jahr seines Aufenthaltes hatte er Gelegenheit, sich mit der Kultur des Landes und natürlich auch mit der Musik vertraut zu machen. Deshalb dürfte ihn das Angebot, an einem Film über Mexiko mitzuarbeiten, trotz Reiseaufwands und Zeitknappheit besonders gereizt haben, zumal die Einladung von dem verehrten und befreundeten Romancier John Steinheck ausging, der das Drehbuch schrieb. Vom 10. Dezember 1940 bis zum 6. Januar 1941 war er mit dem Filmteam vor Ort. Im Quartier des Regisseurs Herbert Kline versammelte er eine bunte Schar Musiker aus den umliegenden Dörfern – „barfuß, ausgesaugt, aber voller Anmut“, wie er sie beschrieb. Er machte Skizzen und Tonaufnahmen. In den Restaurants lauschte er den unzähligen kleinen Bands oder den indianischen Festmusikern, die so laut trommelten und pfiffen, daß er für einige Tage fast taub gewesen sei.
Diese lebendigen, urwüchsigen Eindrücke bildeten die Grundlage seiner Komposition; sie beeinflußten insbesondere die harmonischen und rhythmischen Eigenheiten sowie das Klangbild, weit entfernt und bewußt abgegrenzt von kommerzialisierter Pseudofolklore. Originale mexikanische Melodien oder Motive hat er wohl kaum verwendet – seine Musik sei „ganz unmexikanisch im Charakter“, betonte er in einem Brief. Statt dessen blitzt an einer Stelle ein bekanntes deutsches Kinderlied auf – Krankheit, Tod und Heilung sind
ähnlich in allen Rassen und Ländern, meinte Eisler. So bedeuteten ihm auch das Filmgeschehen oder die medizinischen Vorgänge im wesentlichen nur Staffagen übergreifender, erweiternder Aussagen, wie (hier im 6. Satz) die Geburt eines Kindes armer Leute, die er als heroisches Ereignis beschreibt, eingebettet in Empfindungen von Zartheit und menschlicher Wärme, aber auch in Ahnungen eines beschwerlichen, kämpferischen Lebensweges. Oder der Schluss des Films (7. Satz): der Fortschritt hat gesiegt, aber der Optimismus in Eislers Musik wirkt merkwürdig übersteigert – vielleicht als Warnung vor Überschätzung und drohender Gefährdung?
Die Partitur, in der Zeit der systematischen Filmmusik-Experimente entstanden, zählt nicht nur zu den umfangreichsten, sondern auch zu den gelungensten von Eislers Arbeiten dieses Genres, sowohl in ihrem Verhältnis zum Bild als auch in Einfallsreichtum und Meisterschaft ihrer kompositorischen Struktur. Gemäß seinem Grundsatz, Filmmusik für Konzert-Aufführungen nutzbar zu machen, stellte er schon kurz nach der Vollendung eine achtsätzige Suite zusammen, für die er auch mehrfache Besetzung anbot. Eine andere Version, „Nonett Nr. 2“ genannt (Verlag Neue Musik, Berlin 1965), beruht auf demselben, nur anders geordneten und um zwei Sätze erweiterten Material. Wie von Nathan Notowicz, dem eng mit dessen Schaffen verbundenen Freund Eislers zu erfahren war, hatte der vor, weitere „Sätze für Nonett“ aus der Filmmusik zu erschließen. Weder Eisler noch Notowicz war es vergönnt, diese Absicht zu verwirklichen. Der Versuch von Adolf Fritz Guhl, alle noch ungenutzten Teile der Filmmusik aneinanderzureihen, unternommen Anfang der siebziger Jahre in einer Rundfunkproduktion, brachte kein befriedigendes Ergebnis. In der vorliegenden Form – einer Auswahl der konturenreichsten Stücke und ihrer Verbindung nach dramaturgischen Erwägungen – haben sich die, „Sätze für
Nonett“ durchgesetzt; sie wurden mehrfach erfolgreich aufgeführt und liegen auch auf Schallplatte vor (NOVA 885 215).
Manfred Grabs, Berlin,Juli 1984