Isabel Mundry (*1963) Signaturen
[2Klav,Schl,Str] 2022 Dauer: 15'
2Klav – Schl – Streicher: Gruppe I: 4Vl.2Va.Vc.Kb - Gruppe II: 3Vl.2Va.Vc.Kb
Uraufführung: Würzburg (Mozartfest), 11. Juni 2022
Auftragswerk von Mozartfest Würzburg in Kooperation mit der Elbphilharmonie Hamburg, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung
Signaturen sind Einschreibungen, Zeichen, die sich in andere Zeichen hineinlegen oder in ihnen aufblitzen. Im Mittelalter verbanden sich Signaturen mit der Idee, dass bestimmte Charakteristiken wie z. B. Gestalt, Farbe, Geruch oder Stofflichkeit Dinge und Körper untereinander und mit den Planeten verknüpfen. Nach Giorgio Agamben sind Signaturen "… der Ort, an dem sich die Geste des Lesens und die des Schreibens umkehren und in eine Zone der Unentscheidbarkeit eintreten.“
Dieser Gedanke hat meine Komposition unmittelbar geprägt. Sie ist geschrieben für drei Instrumentalgruppen, bestehend aus zwei Klavieren, einem Schlagzeug und einem Streichorchester, welches sich wiederum in zwei Gruppen gegenübersteht, vergleichbar den beiden Flügeln.
Die Musik besteht aus Gesten, welche aus den Instrumenten und Gruppen hervorgehen und sich linear entfalten. Als Gesten bewegen sie sich ins Offene, doch gleichzeitig sie sind eingefügt in eine streng konstruierte Form. In ihr kehrt alles mit der Zeit wieder, dabei hineingelegt in andere Gestalten, Farben oder Register. So findet sich zum Beispiel der Verlauf einer Streichergruppe später in einem tonhöhenlosen Tamtam wieder oder die Anschläge der Klaviere prägen sich in eine Streichergruppe ein.
Es ist ein Komponieren zwischen dem Voraushören und Zuhören, dem Entwerfen und Reagieren, der Aktivität und Passivität, dem Ausdruck und Abdruck. Wenn ich Gesten schreibe, die an späteren Stellen wiederkehren, kommen sie mir fast wie Fremde entgegen, weil die Musik inzwischen an einem anderen Ort ist und ich zusammen mit ihr weitergezogen bin. Sie sind mir nah und fern zugleich. Im Grunde könnte ich das Stück nach diesem Prinzip auch gemeinsam mit anderen Komponist*innen schreiben oder in Beziehung zu anderen Ausdrucksformen stellen, die ich nicht kenne oder kaum verstehe. Es ist ein Prinzip, das eine Sogkraft entfaltet, sich dem Anderen oder Fremden zu öffnen.
(Isabel Mundry)