Johannes Maria Staud (*1974) Once anything might have happened
[S,Hn,Ens,Elektronik] 2022 Dauer: 23' Text: William Carlos Williams
Soli: S – Hn – Fl(Picc.A-Fl).Ob(Eh).Klar.B-Klar.Fg(Kfg) – Trp.Pos.Tuba – 2Schl – Cel.Klav – 2Vl.Va.2Vc.Kb – Elektronik
Uraufführung: Paris (ManiFeste), Philharmonie, 17. Juni 2022
Auftragswerk des Ensemble intercomporain und des Ircam-Centre Pompidou
Nach Jittering Directions ist dies nun schon mein zweites Werk, das Texte von William Carlos Williams, dieses Fixsterns der amerikanischen Moderne, in den Fokus nimmt. Interessanterweise wurde Williams gar nicht so viel vertont, wie es seiner Bedeutung entspräche. Diese feine, reduzierte, vermeintlich unscheinbar-verspielte, auf den zweiten Blick aber so subversive und messerscharf-bedeutungsreiche Lyrik, heute noch genauso aktuell wie zu ihrer Entstehungszeit, hat mich jedenfalls vollends in ihren Bann gezogen.
Once anything might have happened dauert knapp 25 Minuten und ist in acht Großabschnitte gegliedert. Es verwendet neben dem Großgedicht IX aus dem bahnbrechenden Lyrikband Spring And All, 1923 – im vorliegenden Werk auf die Abschnitte I, II, IV, V, VII und VIII aufgeteilt, auch die Gedichte Solstice sowie The Locust Tree in Flower (aus dem Gedichtband An Early Martyr and Other Poems, 1935) – in meinem Werk die Abschnitte III und VI.
Die solistische Kombination von Sopran und Horn schwirrt schon lange in meinem Kopf herum. Es ist wirklich erstaunlich, wie diese beiden Klangwelten verschmelzen, sich durchdringen können, wie sie sich aber auch voneinander abheben, kontrastierend nebeneinandergesetzt werden können. Die Beziehung der beiden Solisten steht in ihrer ganzen Komplexität geradezu paradigmatisch für die Doppelbödigkeit in Williams‘ Texten. Außerdem ging es mir nie um Verdoppelung, sondern um meine ganz persönliche Lesart.
Im Zusammenspiel der Solisten mit einem 18-köpfigen Ensemble und der Elektronik ergeben sich so mannigfaltige, irrlichternde Beziehungen und Bedeutungsräume, die bisweilen wie ein Labyrinth wirken, formal aber klar gebündelt sind. Neue Technologien wie Audioguide (Concatenative Synthese) oder DYCI2, die ein ganz neues Konzept der Interaktion der Solisten mit der Elektronik ermöglichen, machten das ganze Projekt für mich zu einer aufregenden, jedoch auch alle Kräfte fordernden Reise ins Unbekannte.
Das Werk ist den beiden, menschlich wie künstlerisch wunderbaren Solisten Sophia Burgos und Jean-Christophe Vervoitte gewidmet. Großer Dank gilt auch Dionysios Papanikolaou, der mit mir am IRCAM an der Realisierung der Elektronik gearbeitet hat.
(Johannes Maria Staud)
1. What about all this writing? |
2. Once anything might have happened |
3. Solstice |
4. In my life the furniture eats me |
5. Drunk we go forward surely |
6. The locust tree in flower |
7. All I said was |
8. Clean is he alone |