Johannes Maria Staud (*1974) Listen, Revolution (We’re buddies, see –)
[Ens] 2021 Dauer: 14'
1(Picc/A-Fl).1(Eh).1(B-Klar).1 – 1.1.1.0 – Schl(2) – Klav – Cel – Str: 1.1.1.2.1
Uraufführung: Wien/Österreich (Festival Wien Modern), Konzerthaus Wien, 15. November 2021
Auftragswerk des ensemble xx. Jahrhundert, dotiert aus Mitteln des BMKÖS und Peter Burwik sowie Wien Modern und Ensemble Modern
Der Titel meines Werkes ist dem Gedicht Good Morning, Revolution (1932) von Langston Hughes, einem bedeutenden Vertreter der afroamerikanischen Kunstbewegung Harlem Renaissance, entnommen. Hughes‘ Werk, das den Kampf gegen Diskriminierung und strukturellen Rassismus mit ästhetischer Erneuerung und sprachlicher Eigenwilligkeit verbindet – politische Lyrik, engagierte Literatur, die nichts an Aktualität eingebüßt hat – inspiriert mich gerade auf mannigfaltige Weise und auf mehreren Ebenen.
Politisches Bewusstsein und ästhetische Revolution; ästhetisches Bewusstsein und politische Revolution: Wie hängen diese Dinge überhaupt zusammen? Bedingen sie sich oder widersprechen sie sich auch bisweilen?
Wie kann ich meine Wut, mein Unverständnis über die (real)politischen Verhältnisse und die derzeit grassierenden verhetzenden Demagogien künstlerisch überzeugend verarbeiten? Kann Musik ohne (vertonten) Text überhaupt politisch sein? Und: Hat es denn ästhetischen Mehrwert, wenn sie es ist? Was ist Revolution in der Musik überhaupt – etwas gänzlich anderes als in der Politik oder doch ihr Spiegel? Wie tritt sie auf? Geräuschvoll-ostentativ, quasi triumphierend mit Aplomb oder leise, fast unscheinbar, gleichsam durch die Hintertür? Ist sie gar ein Chamäleon, eine hinterhältige Chimäre, die auch das Gesicht der Konterrevolution annehmen kann? Ist Revolution in der Kunst denn überhaupt mit Fortschritt gleichzusetzen? Fragen über Fragen …
Mein Werk ist für ein 17-köpfiges Ensemble besetzt und besteht aus mehreren kurzen Teilen, die in der Dauer linear anwachsen und unterschiedlichste Instrumentalkombinationen sowie vielfältig angelegte, mehrschichtige, polyphone, pulsierende und soghafte Tuttiabschnitte in den Fokus nehmen. Die formale Spannung entzündet sich zwischen den kleingliedrigen Abschnitten, die in ihrer selbstähnlichen Binnenstruktur mit zunehmender Dauer immer komplexer werden. Es sind stets labile Gemengelagen, die aus klar umrissenen Gesten aufgebaut sind, die sich aber ständig gegenseitig beeinflussen und im Fortgang des Stückes auch ihre Identitäten zu ändern vermögen. Diese Gemengelagen sind in der Lage, jederzeit unerwartet zu „kippen“, sich zu entzünden und Revolutionen „anzuzetteln“, die die musikalische Umgebung radikal und nachhaltig verändern.
Dieses Werk trägt der klanglichen Raffinesse, Durchsichtigkeit und Kompaktheit des ensemble xx. jahrhundert und ihres charismatischen Gründers und Leiters Peter Burwik und des Ensemble Modern und seinen wunderbaren Mitgliedern Rechnung, denen ich nun schon seit vielen Jahren künstlerisch wie menschlich verbunden bin. Listen, Revolution (We’re buddies, see-) ist dem ensemble xx. jahrhundert zum 50. Geburtstag und dem Ensemble Modern zum 40. Geburtstag in Freundschaft gewidmet.
(Johannes Maria Staud, Mai 2021)