Nicolaus A. Huber (*1939) Lockdown Basket Music
für Orchester mit Monteverdi und Zuspielungen und einer Pausenfermate für George Floyd [Orch] 2021 Dauer: 19'
2(Picc).2.2.2(Kfg) – 2.3.2.0 – Schl(3) – Hfe – Klav.Akk – Str: 14.12.10.8.6
Uraufführung: Essen, Philharmonie, 30. Oktober 2021
Auftragswerk des Festivals NOW Essen
Aus dem Karneval in Venedig habe ich noch gut die Vogel-Pestmaske in Erinnerung.
Zwei weltbekannte Lamenti schrieb Monteverdi: Ai caso acerbo (1607) und Lasciate mi morire (1608). Er ließ Orfeo und Arianna klagen. Die Töne der beiden Anfänge bilden meine Harmonik. Während Monteverdi, dessen Frau 1607 und dessen Sohn um 1630 an der Pest starben, Scherzi musicali schrieb, beeinflussten mich die Stadien des Lockdown sehr beim Komponieren dieses Orchesterstücks. Alles war irgendwie weit weggerückt und mein Gehirn war voll von alten Bildern, besonders aus dem Venedig meiner Studienzeit bei Nono
mit den vielen verschiedenen Zugänglichkeiten als Wege, Wasser, Inseln, Kompositionsgeschichte, eiserne Selbstkonzentration, Akustiken, Aufgaben, Entfernungen usw.
Etwas weit entfernt Liegendes gebärdet sich chaotisch nah und vergrößert. Und umgekehrt: der Coronavirus, immer nah und gefährlich zu vermuten, ist winzig, unsichtbar,
fähig zu großer plötzlicher Infektion, im eigenen Körperinneren, weltweit umherschwirrend. Ein eigenartiges Erleben solcher geheimnisvoller Mikro- und Makrowelten aus dem überschaubaren Mesobereich! Dabei sind so ein Virus und seine kribbeligen Mutationen
viel größer als die Quanten, die ja der eigentliche Mikrokosmos sind.
Als ich ein Buch über Quantenbiologie las und den „Quantenbeat des Lebens“ (Jim
Al-Khalili und Johnjoe McFadden, London 2014), glaubte ich, in mir und in meinem Gehirn
die Fähigkeiten zu solchen Komplexitätsbewegungen erspüren zu können und war sozusagen meso-euphorisch über die nun bestätigten Nähen dieser winzigen Wunderteilchen.
Überlagerung, Verschränkung, Welcher-Weg-Information, Teilchen-Welle – alle diese Dinge spielen in meiner Harmonik weiterhin eine wichtige Rolle. | |
Schönberg postulierte einen (12-) Tonraum, ohne oben unten links und rechts. | |
Gravitation als Krümmung des Makrokosmos macht Kleintonalitäten verstehbar. | |
Cage riet uns, statt zu messen mehr wahrzunehmen! |
Die Messung gilt als Zerstörung der Quantenvielfalt. Aber im 3-Becken-Rezitativ die Berührungen zweier Beckenteller wahrzunehmen öffnet die Vielfalt.
Und welche Vermessenheit eines Minnesota-Polizisten einen Menschen zu Tode zu berühren - - - - eine Gedenkfermate für George Floyd ( bei 8’46’’ ).
Nicolaus A. Huber (2020)