Márton Illés (*1975) Vont-tér
[Vl,Orch] 2019/21 Dauer: 19'
Solo: Vl – 2(A-Fl).1.2(B-Klar.Kb-Klar).1 – 2.1.1.0 – Pk.Schl – Str: 6.5.4.4.2
Uraufführung: Köln, 11. Januar 2020
Vont-tér (= gestrichener, gezogener Raum)
In der letzten Zeit schrieb ich eine ganze Reihe von Stücken, die Streichinstrumente solistisch, kammermusikalisch oder im Orchester beschäftigen, in welchen ich eine ganze Palette von neuerem Streichermaterial entwickelte und erprobte. Seit Jahren bin ich dabei, experimentierend, die Instrumente, Wochen- und Monate lang selber in der Hand „knetend“, geläufige zeitgenössische Streichertechniken an meine Musiksprache zu adaptieren. Diese Techniken müssen so geformt und eingegrenzt werden, dass sie über ihre Floskelhaftigkeit als bloße Glissando-, Flageolett-, Saltando-, Arpeggio- und Stegholzeffekte hinausgehen. Dadurch entstehen Gestalten klarer Physiognomie und Ausdruckspräzision, die tiefere Inhalte meiner „privaten“, störrisch-charakteristischen, körperhaft-gestischen Klangwelt noch unmissverständlicher mitteilen können.
Aber was ist Präzision im Ausdruck auf einem Streichinstrument? Gerade bei dieser unglaublich klangflexiblen Instrumentenfamilie versuchte die Musikgeschichte schon immer Schreibweise und Spieltechnik bis zur absoluten „Sauberkeit“ zu feilen, das „Geschmiere“ zwischen den „Gitterstäben“ der horizontalen Tonhöhen- und der vertikalen metrischen Struktur zu vermeiden. In meinen Werken beobachte ich Reflexe, Gesten, Schmerzen und andere feine innere Regungen im Menschen sowie Texturen, Wucherungen und unterschiedliche Prozesse in der organischen Natur. Diese Vorgänge verlaufen in stufenlosen Übergängen, so bedürfen sie, soweit durch Klang reproduziert, eines ursprünglich offenen (primordialen) Klangraums, in welchem sie, durch das Verneinen der Konvention den Klangraum grundsätzlich in Tonstufen („Gitterstäbe“) zu unterteilen, sich in einer „ungepixelten“ Authentizität entfalten und vermitteln können.
Mein Violinkonzert treibt das erwähnte Streichermaterial auf die Spitze. Nicht nur in der Sologeige, auch im (schlank gehaltenen und bewegten) Orchestersatz kommt der klassisch vibrierte, süßlich-satte, inflationäre Streicherklang kaum vor, auch bei Bläsern und Schlagzeug finden sich weiterführende, vielfältige und immer zwingend im Dienste der Inhalte und des Ausdrucks stehende Klangmöglichkeiten.
(Márton Illés, 2019)