Johannes Maria Staud (*1974) Terra Pinguis (für Arthur)
[KamOrch] 2019 Dauer: 13'
AFl.0.2(Eh).1(BKlar).2. – 2.0.0.0. - Str: 6.6.4.4.2.
Uraufführung: München, 17. Oktober 2019
Nach meinem 2. Klaviertrio Terra Fluida (2019) wurde ich auch in diesem Stück wesentlich durch die Gedankenwelt der barocken Alchemie inspiriert.
Johann Joachim Becher (1635-1682), Universalgelehrter und Mittler zwischen der Alchemie des Mittelalters und der Chemie der Neuzeit, maß der Erde als Grundelement die größte Bedeutung zu und unterteilte sie in drei unterschiedliche Grundsubstanzen: die „terra vitrescibile“ (die verglasbare Erde), die „terra fluida“ (die flüssige Erde) und die „terra pinguis“ (die schwefelige, fette Erde) – diese bestimmt die Farbe und Brennbarkeit eines Körpers. Etwas später, durch Georg Ernst Stahl (1660-1734), wurde das Terra-Pinguis-Prinzip durch das berühmte Phlogiston ersetzt. Laut Stahls Theorie erfolgt bei der Verbrennung von Stoffen eine Zerlegung in das Phlogiston, welches flüchtig sei und entweiche, und den unbrennbaren Teil, die Asche, welche zurückbleibe.
Wärme, Hitze, Verbrennung, Verdampfung usw. beeinflussten wesentlich die kompositorische Konzeption dieses Werkes – es wurde auch zu großen Teilen im Hochsommer geschrieben. Dies fängt allein beim „warmen“, abgerundeten, vollen (teilweise mikrotonalen) Klangbild an, setzt sich über die Spielanweisungen fort (etwa „zähflüssig, magmatisch“; „hochsommerlich, schwül“; „brennend, heiß“ oder „warm, innig“) und hat schließlich auch Einfluss auf die Kompositionstechnik, die motivische Arbeit. Einige Grundelemente verändern fortwährend ihre Form, verklumpen, spalten sich ab oder verschmelzen zu neuen Gebilden, andere wiederum oxidieren, verbrennen oder verdampfen und lassen reizvolle Rückstände, „musikalische Asche“ zurück. Alles ist stets im Spannungsfeld zwischen angenehm empfundener Wärme und glühender, sengender, beinahe unerträglicher Hitze.
Nach meinem Werk „Oskar (Towards a Brighter Hue II). Musik für Violine solo, Streichorchester und Schlagzeug“ (2014), das ich meinem ersten Sohn gewidmet habe, ist dieses Werk nun, wie bereits im Titel ersichtlich, meinem zweiten Sohn Arthur Alexander (*2016) zugeeignet.
(Johannes Maria Staud, 18. September 2019)