Johannes Maria Staud (*1974) Scattered Light
für unbalanciertes und undirigiertes Orchester [Orch] 2018 Dauer: 13'
0.2BFl.0.1.Bassethn.B-Klar.Kb-Klar.0. - 2.0.3.1. - Schl(4) - Klav(2 Spieler) - Str: 12.10.8.0.0.
Uraufführung: Wien (Wien Modern), 28. Oktober 2018
Deutsche Erstaufführung: Berlin, Konzerthaus, 29. Oktober 2018
Uraufführung im Wiener Konzerthaus, Wiener Philharmoniker unter der Federführung des Konzertmeisters Rainer Honeck
Auftragswerk des Festivals Wien Modern, dem Konzerthaus Berlin und dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck
Der Ausgangspunkt für dieses Werk war die Frage Bernhard Günthers, ob ich mir vorstellen könne, ein undirigiertes Orchesterwerk zu schreiben. Sofort war ich Feuer und Flamme, auch wenn ich mir der Gefahr, bei diesem Unterfangen zu scheitern, von Anfang an bewusst war. Parallel dazu trug ich schon lange den Plan mit mir herum, einmal ein Orchesterstück ohne hohe Bläser und ohne tiefe Streicher zu komponieren – ein Werk, das quasi unbalanciert um ein stabiles Schlagzeug-Klavierzentrum schwankt. Nun, so fühlte ich, war der ideale Zeitpunkt gekommen, um beide Ideen zusammenzuführen und Scattered Light zu schreiben.
Vom Einsatz von Stoppuhren wollte ich in meinem neuen Werk aus ästhetischen Gründen absehen. So beschäftigte mich lange Zeit die Frage, wie man sonst das musikalische Geschehen effizient und ohne Dirigent organisieren kann. Dem Orchester soll ja ohne allzu komplizierte und probenzeitraubende Koordinationsarbeit ein klangvolles Zusammenspiel ermöglicht werden.
Ich entschied mich dafür, eine langsame, regelmäßige Pulsstruktur – die zu Beginn deutlich hörbar im Klavier etabliert wird – diesem Werk zugrunde zu legen. Das Spannungsfeld zwischen Präzision (der Pulsation) und Unschärfe (ausgelöst durch zwangsläufig auftretende kleinere agogische Abweichungen zwischen den Instrumentengruppen, v.a. in Accelerando- und Ritardando-Abschnitten), ist miteinkomponiert. „Atmende“ Rubati mit ihren reizvollen Unschärfen sind dringend erwünscht und lassen – daher auch der Titel – allein durch die Vielzahl der Musizierenden irisierendes „Streulicht“ entstehen. Der Verzicht auf eine traditionelle metrische Notation soll diese psychologische Komponente der „organisierten Unschärfe“ noch unterstützen.
In meinem Werk wird deshalb die Fähigkeit der Orchestermitglieder, aufeinander zu hören, als Gruppe musikalisch zu atmen und sich dabei selbst zu koordinieren, zum Thema gemacht. Kurz: ein demokratisches Stück Orchestermusik, bei dem das Miteinander – und nicht das Gegeneinander, das Ausgrenzen, das „Wir gegen den Rest der Welt“ – im Zentrum steht. Dies könnte, wenn man so will, durchaus auch als utopisches Vorbild in unserer populistisch verseuchten Gegenwart dienen.
Scattered Light ist Bernhard Günther gewidmet.
(Johannes Maria Staud, September 2018)