Nicolaus A. Huber (*1939) ... der arabischen 4
[Orch,CD] 2017 Dauer: 17'
2(Picc).2.2.2(KFg) – 2.2.2.0 – Akk – Klav - Schl(2) – Str 12.10.8.6.4 – Zuspielung / CD
Uraufführung: Wien/Österreich (Wien Modern), 2. November 2018
Auftragswerk von Wien Modern, dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und dem HR-Sinfonieorchester
Das Motto für den Auftrag sollte „Sicherheit“ sein. Ich habe mich nach langer Beschäftigung dazu entschieden, das Thema als Aufforderung zum kulturellen Austausch zu behandeln. ... der arabischen 4 gibt die Blickrichtung an.
Die 4 als Zahlenschrift und als Symbol galt als Ausdruck der Vollkommenheit. Ein altes Viererzeichen war ein symmetrisches Pluszeichen – vier Himmelsrichtungen, vier Elemente usw. Hermann Pfrogner berichtete uns in einer seiner Vorlesungen von einer Statue des Gottes Gudea, an deren Sockel die Proportionslängen 1 : 2 : 3 : 4 eingraviert waren. Diese endlichen Proportionen zu Füßen des Sumererherrschers beinhalteten auch die musikalischen Öffnungen zur Oktave, zur Quinte und über die Quarte zur gegenüberstehenden Doppeloktave. Die Hände der Gudea-Statuen zeigen übergroß die jeweiligen vier Finger beider Hände, darüber die Daumen wie Außenseiter. Die Vier war eine Grenze und dementsprechend gab es auch ein mathematisches Vierersystem.
Die arabische vorislamische Kultur war außerordentlich empfänglich für Einflüsse aus Indien, Persien, Ägypten oder den Griechen. Die frühislamische Kultur brachte (allerdings im Zuge von Eroberungen) nach Nordafrika, aber auch nach Europa wie Sizilien, Unteritalien, Spanien usw. eine neue reichhaltige Kultur, betreffend etwa die Medizin (Salerno!), die Architektur, die Landwirtschaft, die Philosophie und eben auch die (indisch-)arabischen Zahlen, nämlich das Zehnersystem 1–9 und die 0. Leonardo da Pisa (unser geliebter Fibonacci!) hat zur Bewältigung dieser Aufgaben ein Mathematikbuch geschrieben, das berühmte Medizinbuch in Salerno wurde in hebräischer, arabischer, griechischer und lateinischer Sprache veröffentlicht usw. usw.
Die arabischen Musiker Zalzal und Siryab (er führte für die Oud die 5., die rote Saite ein, die „Saite der Seele“) studierten das griechische Tetrachordsystem. Den 4 (!) Tönen der Tetrachorde in unterschiedlichen Abständen wurden 3 hinzugefügt. Daraus wurde eine arabische 7 mit 3 Mittelfingern (Oud!). Diese Mittelfinger hießen „alter Mittelfinger“, „persischer Mittelfinger“, der „Mittelfinger des Zalzal“. Alle 3 Töne befinden sich im Vierteltonabstand, letzterer ist die „arabische Terz“. Das ist die harmonische Grundlage meines Stückes, im Sinne von Kultur als Austausch, als Zeichen gegen dümmliche Grenzen. Córdoba galt als Stadt des Buches!
Und: Dem gegenüber stehen 7 Lacher, voll Wissen, Erfahrung, Reserviertheit und Freundlichkeit der Sabatina James (e.V.), Reaktionen aus Interviews. Selbst mit dem Tod bedroht und im Untergrund lebend, hat sie als pakistanisch-österreichische Menschenrechtsaktivistin einen Verein gegründet, der verfolgten und bedrohten Frauen hilft.
Zur 4 und ihrer verschiedenen Zeichenvorformen von Ost nach West und der mikrotonalen 3 bis zu unserer heutigen Bewegungsfreiheit – auch physikalisch modern konzipierten Ton-Raum gehört auch die Kultur des Hörens – je breiter und erfahrener, desto sicherer!
(Nicolaus A. Huber, 2017)