Jörg Birkenkötter (*1963) Spiel/Abbruch
[Sept,Tb] 1993/94 Dauer: 24'
Ob.Pos.2Schl.Klav.Akk.Vc – Tb
UA: Köln (Musik-Triennale), 14. Juni 1994
Spiel/Abbruch für im Raum verteilte Instrumente und 4-Kanal-Tonband ist meine erste intensive kompositorische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Elektronik. Das Klangmaterial für das Tonband ist aus zuvor aufgenommenen bzw. gesampelten Klängen der beteiligten Instrumentalisten (insbesondere Schlagzeug, Klavier, Akkordeon) entwickelt.
Ausgangspunkt der Komposition ist zunächst die Vermittlung zwischen Live-Ensemble und elektronischen Klängen durch kleinste Übergänge an den Rändern der Wahrnehmung (z. B. sehr leise verklingende Klavier-Flageoletts). Die elektronischen Manipulationsmöglichkeiten entwickeln jedoch sehr schnell eine große Eigendynamik. Schon durch relativ geringe Bearbeitungen der aufgenommenen Klänge entfernen sie sich sehr deutlich von ihrem instrumentalen Ursprung und geraten zunehmend in Widerspruch zu ihm. So wird der Gedanke der Konfrontation zum zweiten, entgegengesetzten Ausgangspunkt. Das Wahrnehmungsspiel Identität/Nichtidentität mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Abstufungen und Zwischenwerte, der Schärfe und Unschärfe gegenseitiger Beziehungen, bildet so ein zentrales Denkmodell der Komposition.
Die räumliche Konzeption spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Zu den im Raum verteilten, aber fixierten Klangorten der Instrumentalisten tritt das 4-kanalige Tonband mit den Möglichkeiten der Bewegung von Klängen. Es entsteht eine Skala von Zwischenpositionen, verschobenen, vertauschten, wandernden Zuordnungen. Das akustische Problem der unterschiedlich deutlichen Ortbarkeit von Klängen wird zu einer weiteren Kategorie des Beziehungs- und Wahrnehmungsspiels.
Droht die erwähnte Eigendynamik des elektronischen Materials gelegentlich gefährlich in die Nähe klischeehaften „Sound-Schwelgens“ zu geraten, so wird als Gegenpol – zumindest an einer Stelle des Stückes deutlich an der Höroberfläche wahrnehmbar – der technische Aspekt des Tonbandes als Reproduktionsgerät thematisiert.
Wiederholungen, verschieden deutlich als technische Reproduktionen von Vergangenheit erfahrbar, werfen ein neues Licht auch auf den übrigen zeitlich-musikalischen Verlauf.
Jörg Birkenkötter
CD:
Musikfabrik NRW, Ltg. Johannes Kalitzke
CD Wergo WER 6536-2