Ludwig van Beethoven (1770–1827) Rondo B-dur WoO 6
Ursprüngliches Finale des Klavierkonzerts Nr. 2 – Urtext der neuen Beethoven-Gesamtausgabe herausgegeben von Hans-Werner Küthen [Klav,Orch] Dauer: 10'
Solo: Klav – 1.2.0.2 – 2.0.0.0 – Str
Der Klavierauszug und die Studien-Edition (Studienpartitur) sind beim G. Henle Verlag erhältlich.
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Mozart war in der Gattung Klavierkonzert natürlich ein großes Vorbild, als Ludwig van Beethoven in Bonn sein Erstlingswerk (B-dur op. 19) entwarf. So schrieb der junge Komponist 1793 zunächst ein Final-Rondo mit eingeschobenem Andante, wie es Mozart in seinem Konzert KV 482 getan hatte. Dann wählte Beethoven eine andere Schlusslösung und verwahrte die Partitur des B-dur-Rondos in seiner Schublade. Dort wurde das Werk erst nach Beethovens Tod aufgefunden und alsbald gedruckt. Das Autograph stellt so die früheste erhaltene und vollständige Orchesterpartitur Beethovens dar. Die Urtext-Neuausgabe von Partitur und Orchesterstimmen basiert der neuen Beethoven-Gesamtausgabe (Henle).
Das Rondo B-dur WoO 6 von Ludwig van Beethoven (1770–1827) bildete ursprünglich den Schlusssatz des 2. Klavierkonzerts op. 19. Seine kompositorische Anlage weist, vor allem durch den ungewöhnlichen Einschub eines Andante, einen deutlichen Bezug zu Mozart auf. Dieser Bezug dürfte sehr wahrscheinlich die Ursache für die Eliminierung als Schlusssatz seit der dritten Version des Konzerts aus den Jahren 1794/95 gewesen sein. In den 1780er Jahren war die Gattung Klavierkonzert nach Mozarts neuen Maßstäben auf dem Kontinent etabliert und zu solcher Blüte gebracht worden, dass auch Beethoven sich umorientieren musste, wie die insgesamt vier Versionen seines B-dur-Konzerts lebhaft genug vor Augen führen.1
Das Rondo WoO 6 ist wahrscheinlich eine Zweitfassung von 1793 und wurde in Wien aus einer Bonner Frühfassung überarbeitet. Es kann inzwischen als sicher angesehen werden, dass Beethoven WoO 6 als ursprünglichen Schlusssatz der beiden Erstversionen des B-dur-Klavierkonzerts verwendet hatte. Nicht nur dieselbe Besetzung, vielmehr die fast wörtliche Übernahme einer hinreichend charakteristischen Motivgruppe aus WoO 6 (T. 346–348 und 353–355) an proportional vergleichbarer Stelle im endgültigen Rondo von Opus 19 (T. 283–285 und 291–293), die beide mit ihrer jeweiligen Wiederholung kongruent angelegt sind, schließen Zufälligkeiten aus. Der kompositorische Rückgriff auf sein früheres Rondo zeigt sich konkret in dessen Quelle2 an denselben oben genannten Stellen, die in das endgültige Finale des Opus 19 übernommen wurden. In diesen Takten des Wiener Autographs begegnet die einzige Artikulationsnotierung im ganzen Solopart; es ist anzunehmen, dass sie anlässlich der fast wörtlichen Übernahme mit der Niederschrift im endgültigen Finale rückwärtsgerichtet ergänzt wurde. Überdies geht die Idee eines Andante-Einschubs auf eine frühere Notierung im „Kafka“-Skizzenkonvolut zurück3 und weist mit einer thematischen Übernahme dieses Wiener Autograph von WoO 6 als eine oben bereits apostrophierte Zweitfassung aus.
Dass Beethoven sich nicht entschließen konnte, das Autograph dieses Finalsatzes entweder zu vernichten oder zu veröffentlichen, sondern es bis zu seinem Tod unter seinen Musikalien mitführte, bestätigt neben einem sozusagen historischen Sinn für die eigene schöpferische Entwicklung auch seine persönliche Wertschätzung eines Stückes, das kaum mehr als Alternative, wohl aber als Erinnerung an seine Auseinandersetzung mit einem Modell Mozarts aufbewahrt zu werden verdiente. Es bleibt somit das frühesterhaltene Autograph einer vollständigen Partitur Beethovens. Sein originaler Text wurde in der neuen Beethoven-Gesamtausgabe zum ersten Mal vorgelegt.4 Und es gibt darin eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit mit Mozart: Beinahe an derselben Stelle der Rückführung eines langsamen 62-taktigen Andante-Intermezzos ins Rondo-Allegro begegnen gewisse Schwierigkeiten, die schon Mozart beim Tempo IÜbergang angetroffen hatte. Wenn dieser in seinem Es-dur-Klavierkonzert KV 482 im Finale einen Andantino cantabile-Einschub mitten in ein Rondo komponierte, mochte das für Beethoven eine irisierende Ausnahme darstellen, die es nachzuahmen, womöglich zu übertreffen galt. Der unbewältigte Versuch ist in Beethovens Autograph deutlich sichtbar und war wohl Grund genug, dieses Finale gegen einen konventionelleren Schlusssatz ohne langsamen Tempoeinschub zu ersetzen.
WoO 6 wurde 1829 postum bei Anton Diabelli & Comp. in Wien veröffentlicht. Carl Czerny hatte den Text nach dem Autograph modernisiert und im Diskant bis zum f4 erweitert. Seine Bearbeitung kann nicht als autorisiert gelten; gleichwohl wurde der von ihm analog zu den Orchesterinstrumenten im Klavierpart ergänzten Artikulation gefolgt. Hauptquelle der vorliegenden Ausgabe ist das Partiturautograph Beethovens. Ergänzungen des Herausgebers stehen in runden Klammern. Für eine ausführliche Darstellung der Quellen und Lesarten sei auf den Kritischen Bericht des oben erwähnten Gesamtausgaben-Bandes verwiesen.5
Herausgeber und Verlag danken allen Bibliotheken und Institutionen, die Quellen bereitgestellt haben.
Bonn, Frühjahr 2012
1) Vgl. Näheres im Vorwort zu Opus 19 in: Beethoven Werke. Gesamtausgabe, Abteilung III, Bd. 2, Klavierkonzerte I, hrsg. von Hans-Werner Küthen, München 1984, sowie im entsprechenden Klavierauszug des G. Henle Verlags, München 1991, HN 434.
2) Autographe Partitur, Wien, Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde, Signatur A3.
3) London, British Library, Signatur Add. Ms. 29 801, fol. 75v.
4) Beethoven Werke. Gesamtausgabe, Abteilung III, Bd. 5, Klavierkonzerte III, hrsg. von Hans-Werner Küthen, München 2004 [= BGA III /5].
5) BGA III /5, S. 162.