Hans Gál (1890–1987)

Gál zweifelte weder an der weiterbestehenden Gültigkeit der Tonalität noch an der Möglichkeit, durch dieses Medium etwas Neues auszusagen. Davon zeugt die innere Kraft und Vielfalt seines Gesamtwerks. (Eva Fox Gál)

Hans Gál wurde 1890 als Sohn eines jüdischen Arztes in der Nähe von Wien geboren und wuchs in der Kulturwelt jener Hauptstadt des österreich-ungarischen Imperiums auf. 1915 wurde ihm der österreichische Staatspreis für Komposition verliehen. Der Erste Weltkrieg bedeutete für seine Laufbahn einen entscheidenden Einschnitt, aber in den zwanziger Jahren wuchs sein Ansehen rasch, insbesondere durch seine zweite Oper, „Die Heilige Ente“, deren durchschlagender Erfolg bei der Uraufführung (1923 unter Georg Szell) dazu führte, dass sie sofort von sechs weiteren Opernhäusern für die kommende Saison aufgenommen wurde und auch noch bis 1933 im Repertoire blieb. Nach diesem und anderen Erfolgen, vor allem in Deutschland, wurde Gál 1929 zum Direktor des Konservatoriums in Mainz berufen. Die nächsten vier Jahre waren die glücklichste und aktivste Periode seines Lebens. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 führte aber zur sofortigen Entlassung und zum Verbot jeglicher Veröffentlichungen und Aufführungen seiner Werke in Deutschland. Er kehrte nach Wien zurück. In Österreich wurde die politische Situation jedoch bald zunehmend bedrohlicher. Gleich nach dem Einmarsch Hitlers im März 1938 floh Gál deshalb mit seiner Familie nach England mit der Absicht, von dort nach Amerika auszuwandern. Eine Begegnung mit Donald Francis Tovey, Professor für Musik an der Universität Edinburgh, brachte vorübergehend eine willkommene Arbeitsgelegenheit in Edinburgh, wo sich die Familie kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs niederließ. Sechs Monate später erfolgte Pfingsten 1940 ein neuer völlig unerwarteter Schlag: die Internierung als „feindlicher Ausländer“ trotz seiner Verfolgung unter den Nationalsozialisten. 1945 konnte er endlich eine feste Lehrstelle als Dozent für Musik an der Universität Edinburgh bekommen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1987 blieb er dort, schöpferisch tätig bis ins hohe Alter. Das kulturelle Klima der Nachkriegszeit hatte sich jedoch völlig gewandelt. Gál gelang es in Großbritannien nicht mehr, seine frühere Position als Komponist wieder zu erlangen und wurde eher für seine Tätigkeit als Wissenschaftler und Lehrer er verfasste Bücher über Brahms, Schubert, Schumann, Wagner und Verdi als für seine Kompositionen bekannt. Hans Gáls Oeuvre umfasst vier Opern, vier Symphonien, groß angelegte Kantaten und eine Vielzahl von Kammermusik-, Klavier- und Vokalwerken. Bis zum Ende seines langen Lebens hatte er rund 140 veröffentlichte Werke hinterlassen. Obwohl mehr als die Hälfte davon in Großbritannien komponiert wurde, blieb sein Werk wie auch seine ganze kulturelle Identität tief in der österreichisch-deutschen Tradition verwurzelt. Sein Stil schöpft aus vielen verschiedenen Quellen dieser Tradition: aus der Klarheit, dem Witz und der formalen Meisterschaft der Wiener Frühklassik; aus romantischer Intensität, verbunden mit emotionaler Zurückhaltung; aus einer Schubert'schen Liebe zur Melodie, durchzogen von einer Polyphonik, die von einer lebenslänglichen Beschäftigung mit den Werken J. S. Bachs herrührt, wie auch aus der komplexen Harmonik und erweiterten Tonalität der vorseriellen Moderne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

(Eva Fox Gál, übersetzt von Anthony Fox, aus dem Booklet zu „Hans Gál - Violinkonzert u. a.“, CD AVIE, 2010)