Niels Wilhelm Gade (1817–1890)

Gades Durchbruch gelang 1840 mit der Ouvertüre „Efterklange af Ossian“ (Nachklänge von Ossian). Anschließend verbrachte er einige Jahre als Komponist und Dirigent in Leipzig und pflegte engen Kontakt zu Schumann, Mendelssohn sowie Breitkopf & Härtel.

1848 kehrte Gade nach Kopenhagen zurück und war dort bis zu seinem Tod als Komponist, Leiter des Musikvereins und erster Direktor am neugegründeten Musikkonservatorium tätig.

Vorherrschend in Gades Musik ist ein ausgeprägter „nordischer Ton“. Dabei greift er auf die Sagenwelt ebenso zurück wie auf folkloristische Elemente. Er bedient sich jedoch nicht bestehender Volkslieder, sondern erschafft Neues nach folkloristischer Manier und übernimmt es in seinen persönlichen Stil, womit er die national orientierte Symphonik entscheidend prägte.

Einst aus dem internationalen Konzertrepertoire verschwunden, finden seine Werke wieder zunehmende Beachtung. In Dänemark zählt Gade bis heute zu den bedeutendsten Komponisten der Romantik.


„In einem französischen Blatte war vor kurzem zu lesen: ‚Ein junger dänischer Komponist macht jetzt in Deutschland Aufsehen, er heißt Gade, wandert, seine Violine auf dem Rücken, öfters von Kopenhagen nach Leipzig und zurück, und sieht aus wie der leibhaftige Mozart‘. Der erste und letzte Satz sind vollkommen richtig; nur in den Mittelsatz hat sich etwas Romantik eingeschlichen.“ So beschreibt Robert Schumann den jungen Niels Wilhelm Gade in seiner Neuen Zeitschrift für Musik. Doch wer war dieser aus dem Norden stammende Komponist, der bereits mit seinen ersten Orchesterwerken die Leipziger Musikwelt in seinen Bann zog?

Gade wurde 1817 in Kopenhagen geboren. Dänemark hatte zuvor einige herbe Rückschläge hinnehmen müssen. Beim Bombardement durch England verlor Dänemark seine Flotte und Kopenhagen wurde in Schutt und Asche gelegt, 1813 musste Staatsbankrott angemeldet werden und 1814 verlor man beim Wiener Kongress Norwegen an Schweden. Die einstige Großmacht war gekränkt in ihrem Stolz. Doch verglichen mit der wirtschaftlich katastrophalen Situation, oder vielleicht gerade aus diesem Grund, erlebten Kunst und Literatur in Dänemark zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein goldenes Zeitalter.

Als Sohn eines Schreiners und Instrumentenbauers wuchs Gade in einfachen Verhältnissen auf. Im Gegensatz zu seinem Vater wollte er sein Leben jedoch ausschließlich der Musik widmen. So erhielt er Geigenunterricht und studierte Musiktheorie und Komposition bei Andreas Peter Berggreen. Im Alter von 17 Jahren wurde er als Violinist in die königliche Kapelle aufgenommen. Er nutzte diese Gelegenheit um die Möglichkeiten, Grenzen und Klangfarben der verschiedenen Instrumente zu erlernen. Hier wurde der Grundstein gelegt für seine von Schumann gelobte „Meisterschaft in der Instrumentation“. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Kompositionen, die er zumeist bei seinen Musikerfreunden Edvard und Carl Helsted zum Besten gab. Gemeinsam verhandelten sie ihre Träume und Wünsche. Aus ihnen allen sollte etwas Großes werden. In einem Anflug jugendlichen Leichtsinns fügte Gade noch hinzu, dass dies vor dem 25. Jahr geschehen müsse.

Der Durchbruch gelang ihm 1840 – aus seiner Sicht also durchaus rechtzeitig –, als er den ersten Preis bei einem Kompositionswettbewerb des Kopenhagener Musikvereins gewann. Einzureichen war dabei eine Ouvertüre für Orchester. Gade hatte zunächst gar nicht teilnehmen wollen und setzte sich, ermutigt durch sein Umfeld, schließlich an sein Opus 1, die Ouvertüre Efterklange af Ossian (Nachklänge von Ossian), welche ihm den Sieg bescherte. In den beiden darauffolgenden Jahren schrieb er seine (erste) Symphonie op. 5 und widmete diese Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Kopenhagener Musikverein hatte jedoch, trotz des großen Erfolgs der Ouvertüre, kein Interesse an einer Aufführung der Symphonie. Kurzentschlossen nahm Gade sein Schicksal selbst in die Hand und schickte die Partitur an Mendelssohn persönlich. Sicherlich rechnete er nicht unbedingt mit der überschwänglichen und euphorischen Reaktion Mendelssohns, der Gade und sein Werk in höchstem Maße lobte, ihm seinen tiefsten Dank aussprach und das Werk mit dem Gewandhausorchester am 1. März 1843 zur Uraufführung brachte. Ein Reisestipendium ermöglichte dem jungen Komponisten die Reise nach Leipzig, wo er nicht nur auf sein Idol traf, sondern auch in das dortige Musikleben und den Kreis um Mendelssohn und das Ehepaar Schumann aufgenommen wurde. Mit im Gepäck hatte er seine fast fertige 2. Symphonie, die nicht weniger begeistert gewürdigt wurde. Gade selbst dirigierte die Uraufführung im Gewandhaus und lenkte damit auch die Aufmerksamkeit auf sein Talent als Dirigent. Ein halbes Jahr später übernahm er am Gewandhaus die Position des Kapellmeisters unter Mendelssohn, wodurch er zu einem der führenden Dirigenten seiner Zeit aufstieg.

Die folgenden Jahre in Leipzig prägten Gades Entwicklung und sein Schaffen als Komponist. So unterhielt er eine enge Freundschaft sowohl zu Mendelssohn als auch zu Robert und Clara Schumann und knüpfte weitere Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des europäischen Musik-lebens. Auch der Kontakt zu den Hauptverlegern Breitkopf & Härtel und Kistner etablierte sich in dieser Zeit.

Der Bruch in Gades so vielversprechender internationaler Karriere scheint in der Rückkehr nach Kopenhagen im Jahr 1848 begründet zu sein. Er verließ Leipzig, als sich das Gerücht eines Krieges zwischen Deutschland und Dänemark verbreitete, was von Musikwelt und Publikum negativ ausgelegt wurde. Sicher spielten die aufkommenden politischen Unruhen bei dieser Entscheidung eine Rolle. Aus dem Briefwechsel mit seinen Eltern geht jedoch hervor, dass die Abreise nach Kopenhagen zu diesem Zeitpunkt bereits geplant war. Ohnehin hatte er nur ein paar Jahre in Leipzig bleiben wollen.

Zurück in Kopenhagen widmete Gade sich verstärkt dem dortigen Musikleben. Er organisierte den Musikverein neu, gründete in diesem Zusammenhang ein neues Orchester und leitete dann die jeweiligen Konzerte. Darüber hinaus war Gade Mit-begründer und erster Direktor des Kopenhagener Musikkonservatoriums, wo er bis zu seinem Tod 1890 Komposition, Instrumentation und Musikgeschichte lehrte.

Gades Musik ist durchzogen von einem „entschieden ausgeprägten nordischen Charakter“ (Schumann). In der damaligen Zeit war dies neu und ein Grund für das Aufsehen, das seine Werke erregten. Es schien, als sollten eine Emanzipation von der deutschen Musik und eine Identifikation mit den nationalen Wurzeln stattfinden. In Dänemark blühte der Patriotismus – er machte Gade zu einer Art Volksheld. In Deutschland wiederum waren es die neuen Klänge und die herausragende Art der Instrumentation, die die Musikwelt faszinierte. In seine Werke hielt die nordische Sagenwelt ebenso Einzug wie die Folklore. Allerdings greift Gade dabei nicht auf bestehende Volkslieder zurück, er gestaltet vielmehr Neues nach folkloristischer Manier, nimmt es in seinen persönlichen Stil auf und prägt damit die national orientierte Symphonik entscheidend.

Während seiner Zeit in Leipzig veränderte sich sein Stil und der „nordische Ton“ rückt in den Hintergrund. Kritiker vermuteten den Grund in der engen Freundschaft zu Mendelssohn und glaubten auch eine Adaption von dessen Kompositionsstil zu erkennen. Vor allem in der Heimat verübelte man ihm die Abkehr vom nationalen Aspekt. In Gades Augen schienen indes die Möglichkeiten ausgereizt  – er sah es als dringend notwendig an, zu einer allgemeineren Musiksprache überzugehen und sich der Leipziger Schule zuzuwenden. Auch Schumann teilte diese Ansicht, als er 1843 schrieb: „So möchte man allen Künstlern zurufen, erst Originalität zu ge-winnen und sie dann wieder abzuwerfen.“ Gades spätere Werke zeigen uns wiederum eine Rückkehr zum ursprünglichen Timbre und zu einem Wiederaufleben des nordischen Stils.

Neben symphonischen und kammermusikalischen Werken waren es in der Vokalmusik vor allem die sogenannten „Koncertstykker“ sowie eine Art weltlicher Oratorien, die Gades Verlag Breitkopf & Härtel als „dramatische Gedichte“ bezeichnete, mit denen er großen Erfolg hatte. Gade gelang es darin, einen Chorsatz zu komponieren, der klanglich professionell überzeugt, aber auch von einem nicht-professionellen Chor umgesetzt werden kann.

Nach Gades Tod gerieten seine Werke bald in Vergessenheit und verschwanden aus dem internationalen Konzertrepertoire. Sei es, weil ihm die Rückkehr in seine Heimat verübelt wurde oder weil es schwierig war, Ende des 19. Jahrhunderts neben großen romantischen Komponisten wie Schumann, Mendelssohn, Schubert, Brahms oder Wagner zu bestehen. In Dänemark dagegen zählt Gade bis heute zu den bedeutendsten Komponisten der Romantik.