Günther Becker (1924–2007) Magnum Mysterium – Zeugenaussagen zur Auferstehung
Oratorische Szenen [Spr,GCh,Orch] 1979/80 Dauer: 70'
Solo: Spr – Chor: SMezATB – Favoritchor: 3S3A3T3B – 1.1.Eh.1.B-Klar.1.Kfg – 2.1.2.1. – Schl(2) – Org – Tb
UA: Düsseldorf, 4. Mai 1980
Nach der Auftragserteilung der Evangelischen Kirche im Rheinland, unter bestimmten aufführungstechnischen Gegebenheiten eine geistliche Musik zur Auferstehung zu schreiben, kam eine Fülle von Fragen auf mich zu: Wie kann ich als Komponist unserer Zeit die Thematik angehen? Was heißt somit für mich Auferstehung? Da ist die unterschiedliche Berichterstattung der Evangelisten über eine historische Begebenheit. Es gibt jedoch auch Texte, die auf ein Auferstehungschristentum als Zukunftschristentum hinweisen. - Dann zum Komponieren selbst. Da steht für die Aufführung neben Berufsmusikern ein Kirchenchor zur Verfügung, ein Laienchor also. Das bedeutet unterschiedliche Anforderungen, Differenzierung im Schwierigkeitsgrad. Wie soll sich das Instrumentalensemble zusammensetzen, um den kompositorischen Absichten zu entsprechen und gleichzeitig die vorgesehenen Aufführungskosten nicht zu überschreiten?, usw. usf
So entschied ich mich für ein dreiteiliges Stück, wobei jeder Teil auch für sich aufgeführt werden kann. Teil 1 beruht auf dem 28. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus (Übersetzung Martin Luthers, revidierter Text 1975): Auferstehung Jesu, Erscheinung des Auferstandenen, Missionsauftrag. Der Text des Evangelisten wird von einem Sprecher vorgetragen, während dem Chor und den Favoritstimmen Kollektengebetstexte zu Karfreitag, Ostersonntag und -montag zugeordnet sind. Ein kurzes instrumentales Vorspiel und Zwischenspiele gliedern den gesamten Text dieses Teils, wobei an einigen Stellen kurze elektronische Einblendungen vorkommen, um vor allem bei der Berichterstattung gewisse Textstellen zu überhöhen. Den Beschluß bildet der Choral „Jesus Christus, unser Heiland“. Hier ist jeder Hörer auch als Sänger im Sinne einer christlichen Gemeinschaft angesprochen und einbezogen.
Teil II hat als Grundlage das 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes von Paulus, ebenfalls in der revidierten Übersetzung Luthers: Christus ist wahrhaftig auferstanden. Es ist die Auseinandersetzung urchristlichen Denkens mit einem in hellenistischer Vorstellungswelt verhafteten Bewußtsein. Dem zähen und auf Beweisführung beruhenden Insistieren des Apostels sind vier Textstellen aus dem Johannesevangelium und dem ersten Petrusbrief gegenübergestellt. Auch hier wirken die instrumentalen Teile gliedernd, und am Schluß steht der Choral „Wir danken dir, Herr Jesu Christ“: alle Anwesenden sind einbezogen.
In den dritten Teil der Komposition sind u. a. Gregorianische Gesänge der katholischen Kirche im Sinne des ökumenischen Gedankens einbezogen, die auf Tonband gespeichert, elektronisch umgewandelt werden, um so den kompositorischen Intentionen zu entsprechen. Ich entschied mich aus der Fülle der Gesänge für Ausschnitte aus dem Proprium, die sich in der Liturgie der Messe vom Ordinarium unterscheiden. Und zwar für Teile aus dem Graduale (Haec dies) und dem Alleluja (Ascendit Deus), also für Ausschnitte meditativer Versenkung und Ausweitung der ersten Lesung aus dem alten Testament sowie Apostelbriefen und Akklamationen auf Christus, den Evangelien zugeordnet. Wipos von Burgund (um 1040) bekannte Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ (Dem Osterlamm weihet Lobgesänge) habe ich auszugsweise in ihrer ersten mehrstimmigen conductusartigen Version aus dem spanischen Codex Las Huelgas zitiert. Weiter wählte ich Ausschnitte aus dem nur in der Osterwoche üblichen Initium „Christ ist erstanden“ der Ostkirche (in deutscher Sprache), wie es in der Liturgie des heiligen Johannes Chrisostomus vorkommt, Passagen aus der kleinen Ektenie in neobyzantinischer Überlieferung, Teile des Bittgebets um den Frieden aus der großen Litanei und österliche Hymnen aus der griechisch-orthodoxen Tradition in plagalen Modi, alle bezogen auf die „Anastasis“, die Auferstehung, und ebenfalls in elektronischer Klangumwandlung. Ein Auszug aus dem Schacharith-Gebet des hebräischen Glaubens (in deutscher Übertragung), vom Sprecher ohne instrumentale Begleitung und ohne Beeinflussung des Sprachklangs mit elektronischen Mitteln vorgetragen, weist hymnisch auf die Unsterblichkeit der Seele hin: „Gepriesen seist Du, Ewiger, der die Seelen zurückkehren läßt in tote Körper“. - Das Geläute mit Metallidiophonen zu Beginn und am Ende des dritten Teils meines Stückes sind Reminiszenzen an persönlich erlebte griechisch-orthodoxe Osterriten, hier sublimiert und in einen kompositorischen Zusammenhang gebracht. Meine Arbeit schließt mit dem gemeinsam gesungenen Choral „Christ ist erstanden“.
(Günther Becker)
CD:
Henrik Koy (Sprecher), Nancy Poland (Orgel), Favoritchor, Chor der Neanderkirche Düsseldorf, Instrumentalensemble, Ltg. Oskar Gottlieb Blarr
CD cybele SACD 960.402