Márton Illés (*1975) Scene polidimensionali XVII „Die weiße Fürstin“
Musiktheater nach Rainer Maria Rilke 2009
Soli: SSS – Männerchor: TTBBBB – 2 Schauspielerinnen, 1 Schauspieler – 6Klar(Es-Klar.BKlar) – 2Hn.2Trp.Pos.Tuba – Schl – Klav – 3Vl.2Va.2Vc.Kb
UA: München, Gasteig, 28. April 2010
Auftrag der Münchener Biennale in Koproduktion mit dem Theater Kiel
Seit Jahren stelle ich immer wieder fest, dass meine intimsten musikalischen Gedanken zumeist in ein paar Linien erscheinen, die gleichzeitig oder einzeln, in verschiedenen Gruppierungen und formalen Konzeptionen auftreten. Die linearen Ereignisse behalten ihre eigenen Spannungsabläufe, sind also als gleichzeitig auftretende Individuen anwesend.
(Márton Illés)
Musik ereignet sich als imaginäres Theater. In sechzehn Scene polidimensionali gab Illés dieser Ästhetik konkrete Gestalt. Mit der siebzehnten verwirklicht er die Tendenz, die in ihnen allen angelegt ist. Die siebzehnte ist ein Stück Musiktheater. Als Stoff und Text wählte Illés ein dramatisches Gedicht von Rainer Maria Rilke in dessen erster, rauerer, weniger geglätteten, direkteren Version: Die weiße Fürstin, Szenen einer Erwartung, die sich vom Hintergrund einer schrecklichen Rarität abhebt. Die weiße Fürstin (sie trägt keinen Namen) lebt der Erfüllung ihrer Sehnsucht entgegen: der Ankunft des Geliebten. Erzählungen vom Elend der seuchen- und hungergeplagten Bevölkerung, vom Treiben ominöser schwarzer Priester geraten zu Marginalien dieses Sehnens. Handlung und Ziel sind durch einen Schwebezustand, gleichsam durch Klangbewegungen der Seele abgelöst. Illés greift diesen nach innen gewandten dramatischen Vorgang auf, indem er den Sängern und Schauspielern keine festen Rollen zuordnet. Personen und ihre Äußerungen komponiert er als Erscheinungen und Ereignisse im musikalischen Raum, der sich in den szenischen Raum weitet. Der Text, der aus dem Eingangsbereich zur Moderne stammt, ist eingefügt in die Polydimensionalität der Musik nach der Moderne. Von hier aus öffnen sich die Perspektiven für die Gestaltung des Bühnenraums durch Architektur, Licht und Bewegung.
(Münchener Biennale)
Scene polidimensionali ziehen sich wie eine Leitlinie durch das uvre von Márton Illés. Der Titel verweist auf einen Grundimpuls seines Komponierens, das Ausformulieren von Themendimensionen, die sich wie Kraftfelder überlagern, ablösen, verhaken und abstoßen. Als Text für sein erstes musiktheatralisches Werk zieht Illés Rilkes dramatisches Gedicht Die weisse Fürstin in der ersten Version von 1898 heran. Eine Frau in Erwartung des Besonderen. Ist es ein Geliebter oder der Tod? Das Stück entwirft keine Handlung. Es besteht aus einer Folge relativ statischer Szenen. Auf den Komponisten wirkten sie wie konträre poetische und existenzielle Dimensionen eine unmittelbare Herausforderung an sein eigenes musikalisches Denken. Entstehen wird durch den Blick des Anderen auf Rilkes parataktischen Text eine intensive (auch explosive) szenische Befragung von Text (gesungen und gesprochen) und Musik.
(Theater Kiel zur Uraufführung 2010)